Kurt Tucholsky 1931

An das Publikum

O hochverehrtes Publikum,

sag mal: bist du wirklich so dumm,

wie uns das an allen Tagen

alle Unternehmer sagen?

Jeder Direktor mit dickem Popo

spricht: »Das Publikum will es so!«

Jeder Filmfritze sagt: »Was soll ich machen?

Das Publikum wünscht diese zuckrigen Sachen!«

Jeder Verleger zuckt die Achseln und spricht:

»Gute Bücher gehn eben nicht!«

Sag mal, verehrtes Publikum:

bist du wirklich so dumm?

 

So dumm, dass in Zeitungen, früh und spät,

immer weniger zu lesen steht?

Aus lauter Furcht, du könntest verletzt sein;

aus lauter Angst, es soll niemand verhetzt sein;

aus lauter Besorgnis, Müller und Cohn

könnten mit Abbestellung drohn?

Aus Bangigkeit, es käme am Ende

einer der zahllosen Reichsverbände

und protestierte und denunzierte

und demonstrierte und prozessierte ...

Sag mal, verehrtes Publikum:

bist du wirklich so dumm?

 

Ja, dann ...

Es lastet auf dieser Zeit

der Fluch der Mittelmäßigkeit.

Hast du so einen schwachen Magen?

Kannst du keine Wahrheit vertragen?

Bist also nur ein Grießbrei-Fresser –?

Ja, dann ...

Ja, dann verdienst dus nicht besser.

 

Geduld

Ich konnte es kaum glauben, aber heute Morgen früh war der Himmel blau mit Wölklein besetzt. Aus meinem Panorama-Schlafzimmerchen wollte ich den  Sonnenaufgang erspähen aber der war so was von fad. Und dann zog Nebel auf. 

„Kommt schon auch mal wieder“, „Geduld haben (deine Spezialität)“ bekam ich vom Herrn Psychologen auf meinem Kommentar zurückgeschrieben. 

Oh, wie gerne wäre ich geduldig! Die Ruhe in Person. Unemotionell wartend. Geduldig erwartend. Einfach Zen und Ommm Chanti Ommm von innen heraus. Nicht mir sagend sondern sein. Nicht mich ablenkend sondern fokussiert ruhig im Gefühl. Keinen Drang spüren. Kein Verlangen.

Denn es gibt sie, diese Menschen. Denen es von Natur aus gefällt zu warten, denen es schon immer einerlei war, was morgen passiert, die Geplantes hundertmal umplanen, ... Leider gehöre ich zu den Bangenden, ich stehe dazu und lasse es zu. Denn ich kann es kaum erwarten, ich liebe die Vorfreude, bis es mal endlich losgeht, bis die Antwort kommt, bis ich es weiss, am besten jetzt, bis die Person da ist oder ich bei ihr bin, bis das Flugzeug abfliegt, ob ich es wohl verpasse? Ich zähle die Tage, die Stunden, die Sekunden, ... wenn ich es kommen sehe, vielleicht geht es schief, was wird wohl passieren, jegliche Szenarien ausmalen,....

Geduld ! Hallo?!: Folter! 

Aber ich bin schon viel besser geworden. Ich kann total cool spielen und innerlich verzwatzeln. Ausharren. Abwarten und Tee trinken. Am besten wäre sich betrinken und in den Dornröschenschlaf fallen, bis das Erwartete eintrifft. Oder eben nicht.

Mein Kopf ist gestern, jetzt, oben, unten, drinnen, draussen, morgen, übermorgen, vor einem Jahr, in zwei Monaten, was hätte sein können oder was evtl sein wird oder nicht. Ich bin gewappnet für jegliche Situationen, freue mich, wenn’s kommt wie ich dachte, oder noch besser ist, bin traurig, obwohl ich es vermutete, enttäuscht, obwohl ich es schon kommen sah. 

Aber Geduld. ‚Es kommt wie es kommt‘ und ‚wie es kommen muss‘. Oder es kommt gar nicht. Sozusagen der Egal-Modus einstellen. Den habe ich nicht in meinem System. 

Dafür den Flugmodus im Handy für die Nacht. Und der Morgen kommt bestimmt. Das beruhigt.

im Sofa in Florenz

Weisswein im Glas
Füsse hoch
Musik klingt
ich beschwingt

Oliven im Mund
Zehen wippen
der Finger winkt
die Trommel swingt

Florenz im Glanz
meine Seele tanzt
mein Herz springt
Mart’nália singt

Farben vor mir
Pinsel, Papier
es gelingt
Freude erklimmt

Gedanken drehen
kommen und gehen
die Logik hinkt
die Stimme ringt

Ein bisschen plaudern
Ein bisschen lachen
die Stimmung stimmt
die Nacht beginnt