Prinzessin

Wann haben sie zuletzt die Haare einer Puppe gekämmt? Ich sass heute Sonntag Morgen früh, nach zwölf Stunden Erschöpfungsschlaf, auf meinem Sofa und kämmte die Haare der Kasperlifiguren-Prinzessin. Denn, obwohl wir gestern ihre Haare kurz vor ihrem Einsatz zurecht gestrichen hatten, sah sie bei ihrem Auftritt aus, als ginge sie an ein Punkkonzert. Hier sei erwähnt, dass sie zudem noch Brünette ist, was den Teenager-Girls gar nicht passte. Sie wollen eine blonde Prinzessin mit langen Haaren. Und einem schönen Kleid. Diese Prinzessin sei dunkelhaarig, zerzaust und hätte noch einen Zahnpastafleck auf ihrem fürchterlich langweiligen gelben Kleid. Mein Einwand mit dem klischeehaften Argument galt nicht. Oder zumindest vorerst nicht. Am nächsten Tag, brachte ich die blonde Prinzessin mit, leider auch mit zerzaustem Haar und erst noch einem Pagenschnitt. Das ging schon gar nicht: „Wiene Bueb“. Zweites Klischee. Dann fanden sie, dass die Prinzessin doch dunkel sein darf, aber lange Haare müsse sie haben. Zudem hatte die blonde keine echten Haare wie die Brünette, sondern Fädeli-Haare und ein zwar fleckenloses blaues Kleid, welches aber bei dem blau angemalten Theater eher zur Camouflage verhalf. Also doch brünetter Punk mit Zahnpasta Fleck.

Die Auserwählte musste sich natürlich bei jedem Auftritt entschuldigen, dass sie keine Zeit hatte zum Haare Kämmen. Jetzt, mit den gekämmten Haaren, muss sie sich in Zukunft nur noch für den Zahnpasta-Fleck entschuldigen. Der ging nämlich heute nicht weg.

Auch die Fädeli-Haar-Prinzessin wurde gekämmt. Interessanterweise ist der Pagenschnitt original, sie ist die echte Prinzessin, es sind Lotte Sievers Hahn Puppen, und Website erklärt mir weiter: Die Brünette ist die Königstochter. Heieiei. Zum Glück habe ich sie heute ein bisschen zurecht gemacht. Die arme! Und gelernt habe ich auch was. Sind also die Prinzessinnen blond und die Königinnen-Töchter brünett. Was ja auch eine Prinzessin ist, aber eine direkte Tochter des Königs.

Der Grund, warum unsere Prinzessin überhaupt so wichtig war, war nämlich der Gedanke, dass in den Märchen die weiblichen Protagonistinnen mit Ausnahme der Fee entweder doof, eingesperrt, eingeschlafen oder böse sind, und nur die männlichen Protagonisten Helden sein können. Da ich aber unter Zeitdruck stand und nur sympathische weibliche Puppen mit montierter Krone besass, oder das Rotkäppchen, musste die Prinzessin Carla her, so heisst unsere Heldin. Sie durfte das ganze Theater ansagen und ihre Blockflöte dem albernen Kasperli ausleihen, welcher so dumm tat, dass ihm das Instrument zuerst verzaubert und dann auch noch gestohlen wurde. Zum Glück gab es liebe Tiere und das grandiose Publikum, bestehend aus Kindergärtnern und PrimarschülerInnen, welche dem Kasperli halfen, alle Aufgaben zu lösen, damit er die ausgeliehene Flöte wieder spielbar zurückbekam. Den Kasperli fanden die Kinder besonders doof, vor allem, als er der Königstochter Carla erzählte, er habe ganz brav damit gespielt. Lügen geht gar nicht. Aber wie Mädchen so sind, gutmütig und hilfsbereit, um jetzt da mal ein positives Klischee aufrecht zu erhalten, hat Carla ihm sogar noch Unterricht bei ihrem Vater, dem König angeboten. Ich frage mich gerade, wie dies das Publikum fand. Immerhin war alles wieder gut und alle waren zufrieden im Märchen. Das könnte dann die Kinder auch beruhigt haben.

Nun sollte aber mein nächstes Märchen noch ein bisschen mehr Klischee frei werden. Der Teufel soll böse bleiben, die Hexe auch, aber die Carla mit Zahnpastafleck hat immerhin die Zähne geputzt, was der Hexe in ihrer Jugend fehlte, darum hat sie ja auch so fürchterliche Zähne. Aber Heldinnen wie Pippi Langstrumpf und Ronja Räubertochter sollten auch im Kasperlitheater mehr Vorbild sein.

Kommt Zeit kommt Carla!