Ich habe einen Fensterplatz im Flugzeug. Wie ich das liebe. Ausblick auf Mutter Erde. Der Nebel im Tal hängend, die Hügel, die Berge, welche wie eine Brotkruste die Landschaft zieren, der Schnee, wie Puderzucker verteilt, Felder, wo das Auge reicht, kurze Abschnitte von Wäldern, Häuser, deren glitzernden Scheiben die Sonne bis hoch zu uns spiegeln, Flüsse, die sich durch die Täler winden, Strassen, die wie Venen die Landschaft zieren, Städte, welche uns von oben herab wie Flecken begegnen, die Küsten, jetzt im Winter vom weissen Wellenschaum umrahmt, das Meer, auf dessen Oberfläche nebst Schiffen der Wind spuren hinterlässt, die Sonne uns indirekt blendet, die Wolken Schatten werfen, welche uns gar die Sicht auf den Planeten verdecken, wie Watte, teils mit Gewittern beleuchtet, ist das nicht wundervoll?
Dummerweise einfach nicht sehr ‚sustainable‘. Dafür das Besteck der Mahlzeit. Aus Holz. Man staune. Die Zeitschrift der Fluggesellschaft aus Recycling-Papier, der Inhalt strotzt von Artikeln über ‚sustainable’ Menschen und deren „sustainable“ Business. Ich wette, die Decke, welche auf meinem Schoss liegt, ist aus recyceltem Polyester. Sustainable halt.
Wenn ich im französischen Supermarché bin, brauche ich schon fast Hilfe, Bioartikel zu finden. Denn alles ist neu grün angeschrieben. Entweder einfach so oder « 2% moins de plastique ». Hier wird zwar mit « biodégradable » Werbung gemacht, doch Bio ist Mangelware. « L’arnaque » meint der Franzose. Und wenn, dann aus Übersee und leider meist verschimmelt. Vegetarisch im Restaurant? Was ist das? Dafür fürchterliche LED Belichtung und der Hybrid vor der Tür. Öffentliche Verkehrsmittel ausser der Pariser Metro, dem TGV und der AirFrance? Impossible. Dafür Elektrovelos überall auf den Wanderwegen. Nun, vielleicht sind die Franzosen einfach ehrlich. Mit ihren über 70 AKWs. Nichtsdestotrotz ist ihnen der Strom diesen Winter fast ausgegangen, weil sie den grössten Teil an alle fast-AKW-freien ‚Bio‘-Staaten verkaufen.
Wir Schweizer fahren jetzt sustainble-mässig mit dem französischen Atomstrom Zug und wandern oder segglen in aus PET recycelten neuen Outdoorklamotten unsere Berge ab, wo keinem Bär und keinem Wolf sein Revier gegönnt wird. Essen Avocados anstatt Butter und Tofu anstatt Kutteln, und wenn Fleisch, dann nur die besten Stücke. Der Rest bekommt der Hund oder die Hauskatze, welche noch die restlichen Singvögel jagt. Wir machen Yoga und Pilates, machen uns danach einen Cranberry-Chia-Smoothie und schmieren uns Voltaren auf unsere Haut. Oder Copaiba Öl. Wir verrenovieren unsere Häuser im Minergie-Standart, verschrotten oder exportieren noch längst fahrbare Autos aus Sicherheitsgründen, schmeissen 40% unserer Lebensmittel in den Abfall und füllen ausgediente Salzminen mit den Resten aus den Verbrennungsanlagen. Tonnenweise. Wir produzieren in „Billiglohnländer“, begünstigen Steuerflüchtlinge, sind im Kriegswaffenbusiness ganz vorn, … noch Fragen?
Jetzt befinde ich mich hoch über Brasilien. Unter mir fädeln sich Windmühlen durch den Urwald. Sustainable Projekt? Die bösen Brasilianer holzen den Urwald ab. Aber wir brauchen ihn, weil wir unseren schon lange abgeholzt, inklusive die Kolonien fertig ausgeplündert haben. Nun ist Europa sustainable geworden, und die Brasilianer und all diese, wie nennen wir sie? Ach ja: „Schurkenstaaten“ oder „Drittweltländer“, und nicht vergessen: Allen voran die Chinesen, sind die Bösen.
Das ist eine sustainable Lösung um über all unsere Verbrechen, welche seit über 500 Jahren und immer noch von uns begangen werden und worden sind, hinwegzusehen.
Nein, ich habe keine Lösung. Und mein Geschimpfe bringt auch nichts. Aber Heimatstüdeli, sustainable ist es!