Sand

Nun liege ich auf meinem Tuch im Sand vom Strand von Frangokastello auf Kreta. Davor lag ich auf dem eleganten roten Stuhl unter dem eleganten roten Sonnenschirm. Aber irgendwann überfiel mich das Bedürfnis, den Sand zwischen meinen Zehen und unter meinem Tuch zu spüren.

Ich möge keinen Sand, meinte E immer. Das stimmt so nicht. Einfach nicht in Mengen auf meinem Tuch, im Sonnencremendeckel, am kalten Wasserflaschenboden klebend, auf meiner Kopfhaut, in den Ohren, in meinen Farben, und schon gar nicht im Bett. Da kratzt er nämlich die ganze Nacht. Unerträglich. Aber so zwischen den Zehen, oder die Zehen darin bohrend, ein weeneli auf meinem Tuch und ein paar Körnli in meinem Buch, da finde ich ihn herrlich. Und darauf mein Tuch auszubreiten, dann darauf liegend mit dem Körper die unebenen Stellen zu erfühlen, das gefällt mir sehr. Einzig bei Sandfliegen in den Tropen und bissigen schwarzen Käfern, wie gerade eben, da ist so ein Liegestuhl von Vorteil.

Hübsch ist es hier auf Kreta und trocken. Scheinbar leide Kreta an einer Dürre momentan. Ja, denn die Bäume und Büsche sehen hier eher alle jämmerlich aus. Wie ausgediente Weihnachtsbäume Ende Januar. Auf der Gebirgskette hinter mir liegt der Länge nach eine Wolkenkette. Ob es dort regnet?

Das sollte ich jetzt eigentlich malen. Aber ich bin gerade zu strack. So male ich doch meist den ganzen Tag. Besser und schlechter gelingen mir die Malereien. Manchmal sind sie nur noch mit dem schwarzen Stift durch Konturen zu retten, wenn ich dann wieder mal zu enthusiastisch mit dem Farbeneinsatz umging. Manchmal passiert noch schlimmer dazu, dass ich den zu dicken Stift erwische, und die schon abverreckte Geiss dann fette Kopfkonturen bekommt. Oje. Aber manchmal bin ich auch ganz stolz auf mein Bildli. Es gilt generell: Immer planen und richtigen Moment aufhören.

Wie bewundere ich doch all die Professionellen, welche mit ein paar Strichen und Farbflecken das wesentliche auf das Blatt bekommen. Und natürlich diejenigen, welche mit Geduld und Pinselfestigkeit das perfekte Abbild der Umgebung oder des Gegenstands hervorzaubern. Aber wie gesagt, mit Geduld. Die habe ich nicht. Stundenlang Wellen und Wasser vorzeichnen und dann fein säuberlich, sich mit den Farben an die Skizze haltend, da wird mir langweilig. Das überlasse ich den Profis.

Sinnieren tu ich auch noch gerne am Strand. Zum Beispiel über die jetzige Dürre und ihren Ursprung. Oder über die soeben gelesene Zusammenfassung der Geschichte Kretas. Die minoische Kultur und die Frauen. Sie lebten unabhängig und gleichberechtigt, nahmen am öffentlichen Leben teil und hatten ihre eigenen Rituale. Die meisten der bildlich dargestellten Figuren auf den gut erhaltenen Fresken seien Frauen. Sie hatten somit gesellschaftlich wichtige Positionen. Frau nimmt sogar an, dass diese Hochkultur von Frauen geführt wurde. Das war in der Bronzezeit, als das Patriarchat ihren Anlauf nahm, und mehr und mehr die Frauen ihrer Freiheit beraubt wurden. Zu dieser Zeit entstand die griechische Mythologie, die römische Mythologie und das Judentum. Um mal Europa zentriert zu bleiben.

Ist es nicht interessant, dass wir in der gesamten Schulzeit, und bis heute noch, nur patriarchale Hochkulturen und patriarchale Geschichtsauslegungen der früheren Epochen gelehrt bekommen? Krieg, Schlachten, Plünderung, Annexion, Männer Männer Männer und nochmals Männer. Die paar wenigen Frauen in dieser Männergeschichte kommen meist als ‚böse‘ oder ‚dumme‘ Herrscherinnen rüber, wie Katharina die Grosse, von welcher ich nur noch weiss, dass sie einen guten Geschmack hatte und ihre Männer umbringen liess, oder Kleopatra, welche ‚so blöd war‘, dass sie aus Liebe zu Cäsar ein Imperium verlor, und somit die Kultur Ägyptens ein jähes Ende nahm. Oder schöne pseudosoziale Ehefrauen, Sissi: Schön und einfältig. Evita Perón: Schön und habgierig.

Ein kleiner Hüpfer ins Libysche Meer muss sein, wo mich auch noch ein kleines Fischlein in die Wade zwackt. „Hier bin ich“. Soso. Vielleicht widme ich mich doch besser wieder meinen Pinseln. Da der Fisch sofort nach dem Angriff wegschwamm (das war sicher ein männlicher) , muss ich mir ein anderes Objekt suchen. Meine Espadrilles wären doch ganz nett. Die bleiben stehen. Und vielleicht schaffe ich es ja ohne schwarze ‚Stift-Umrandungsrettung‘.