Nebel

Es ist halb elf Uhr und ich liege schon seit fünf Uhr im Bett, von Serafino heim gekommen, vom Platzregen überrascht mit nassen Haaren, döggele in meinem Handy rum, lese danach « la panthère des neiges », freue mich über die warme Wohnung, die Ruhe drinnen, das Leben draussen. Sinniere meinem Leben, dem Leben anderer und dem Leben allgemein nach. Doch Nebel umgibt mich. Psychologischer und emotionaler Nebel. Im Nebel wandelnd, gegen Felsen stossend, welche ich, wie kann es auch anders sein, selbst nicht bewegen kann. Wohl einen selber sein kann. In der Brandung. Im Sturm. Felsenfest überzeugt kann man auch sein. Eingenebelt. In Lust- und Antriebslosigkeit. Rot unterstrichen hier beim Schreiben. Die Autokorrektur erkennt dieses Wort nicht.

Ich erkenne mich nicht. Nicht mehr wieder. Seit dem Lockdown, der Quarantänenzeit, dem « confinement ». Da hat sich tief in mir etwas verändert. Knochentief. Es ging mir durch Mark und Bein. Hat mein Innerstes erschüttert. Zerrüttet. Alles ist mir entgleitet, die Zügel aus den Händen, der Boden unter den Füssen. Und nun schwebe ich. Immer noch. In Fassungslosigkeit. Reibe mir die Augen. Sandmanns Sand aus den Augen. Er zerkratzt die Linsen und trübt die Sicht. Die Weitsicht. Oh halt, es war kein Traum. Also kein Sandmann mit kratzendem Sand. Eher Treibsand in den Abgrund. Da sieht man lieber nicht hinein. Es war nur ein kurzer Blick, ein winziger Ausschnitt, ein feiner Hauch, eine Kostprobe der unfassbaren Möglichkeit, Unfassbares und Unmögliches möglich zu machen.

Misstrauen bleibt zurück. Da kann ich die Augen so viel reiben wie ich will. Da kommt keine Klarsicht.

Nun tönt das alles sehr düster. Klar düster. Düsteres Weltgeschehen, düstere Zukunft. Warum wir alle uns dieser düsteren Nebelsicht ergeben und uns reinrasseln lassen? Weil wir ohne freie Sicht das Ruder lieber anderen überlassen? Obwohl die genauso wenig sehen? Frei nach dem Motto unserer Generation: Hauptsache noch möglichst gesund und fit allermindestens das schweizer (!) Durchschnittsalter erreichen, der Saldo des Bankkontos muss auch stimmen, egal unter welchen Bedingungen. Und dann ‚nach uns die Sintflut‘.

Wohlgesinnt‘s.