Monster

Ich habe wieder einmal eine Pflanze geerbt. Was ich schon für Pflanzen geerbt habe! Zum Beispiel einen Ficus, die Spiessbürgerpflanze par Excellence. Aber sonst wäre er im Müll gelandet. Mit dem Gedanken; vielleicht will den ja jemand, ich nehme ihn mal mit, rettete ich ihn vor seinem frühzeitigen Tod. Aber niemand wollte einen Ficus, und schon gar nicht einer, an dem nur noch drei grüne Blätter, dafür hunderte verdorrte hingen, weil er schon Monate in einer dunklen Veranda hauste und sehr wenig gegossen wurde. Welcher zudem einseitig und schief gewachsen ist, da er in dieser Veranda auf einer Kommode an einer Wand stand. So blieb er bei mir, steht jetzt in meinem Salon und beschenkt mich als Dankeschön mit neuen Blättern noch und nöcher. In der Zwischenzeit habe ich ihn sogar noch lieb bekommen. Zudem soll er die Luft reinigen. Was will man mehr?

Nun erbte ich eine neue Pflanze. Ein Monster. Auch ein halbverrecktes. Jämmerlich sieht sie aus. Doch seit wann haben Monster den Anspruch, gut auszusehen?

Meine Freundin M meinte, mich würde man dann mit über neunzig, das hohe Alter natürlich dank dem luftreinigenden Ficus erreicht, tot und schon begraben zwischen meinen Pflanzen finden. Beerdigung überflüssig. Ja, so kommt es mir vor. Ich rette halbtote Pflanzen, sie erholen sich und gedeihen in meiner Wohnung prächtig, ich habe bald keinen Platz mehr. Und werde in deren Blätterarmen mal eingebettet sterben.

Stolz bin ich auf meine Zöglinge. Und meine grösste Sorge sind die Ferien. Denn selbst bei herzensguter Betreuung leidet und jammert eine oder zwei bei meiner Rückkehr durch Unter- oder Überwässerung und muss wieder aufgepäppelt werden. Bis ich sie wieder soweit habe, wo sie vorher war, sind meine nächsten Ferien geplant.

Ich staune wahrhaftig selbst über meinen Dschungel. Einen grünen Daumen? Ne, früher verdursteten bei mir die Kakteen. Und als ich einen Garten hatte, übernahm das Unkraut, entschuldigt, das Beikraut, überhand. Es ist wohl die Wohnung selbst. Darin gedeihen alle Pflanzen.

Und jetzt zurück zum neuen havarierten Waisenkind. Monstera oder Fensterblatt heisst die Pflanze. Ein gewellter langer Ast ist noch übrig, in undefinierbare Richtung wachsend, mit einigen riesigen Blättern dran, vielen meterlangen Luftwurzeln, welche man laut Internet auf keinen Fall abschneiden darf, gestützt, oder ein Versuch davon, mit Bambus. und dann die Frage: Wohin damit? Und jetzt kommen wir zum nächsten Problem. Ich habe natürlich nicht nur eine Pflanze geerbt, sondern noch jeglichen sonstigen Klimbim. Leinenservietten, Leinentischtücher, schöne Körbe, … und: Wohin damit? Meine Wohnung ist jetzt schon voll gestopft. Nicht nur mit Pflanzen.

Nun, der einzige Platz, welcher noch nicht von einer Pflanze bewohnt ist, ist oben am Kühlschrank und Ofen. Aber mitbraten will ich ja das Monster nicht. Also Kühlschrank. Nur sind da drauf schon jegliche Küchenutensilien versorgt. Die kommen mal runter und das Monster, monströs schwer, wird da nach oben gehieft.

Jetzt gedeiht das Monster schon seit zwei Wochen auf dem Kühlschrank, aber meine rumstehenden Utensilien haben bis anhin keinen Platz gefunden. Und das Monster steht ein bisschen zerquetscht zwischen Decke und Kühlschrank.

Gestern war ich bei S. Willst du eine Pflanze von M? „Oh ja, gerne!“ Ich komme mir vor wie eine Angestellte des Tierheims, welche ein gutes Plätzchen für einen Findel-Hund gefunden hat. Was für ein herrliches Gefühl. Nur muss ich dieses Monster wieder runterholen, wieder zu zweit unversehrt ins Auto schleppen und zu S fahren.

Was man nicht alles macht für ein gutes Plätzchen!