Haare

Ich weiss gar nicht, wo ich anfangen soll. Das Thema ist unendlich, es fängt im Kindesalter an, wenn der Gang zum Friseur zur Qual wird, weil die abgeschnittenen Haare im Gesicht beissen oder weil das Stillhalten einfach unerträglich ist. Wenn Mama uns Mädchen mit Haargummis und Zöpfchen quält. Als Teenager, wenn man nicht die Haare färben darf wie die Freundin. Später, oder das ganze Leben, wenn sie nicht so sind wie sie sein sollten. Als Mann, wenn sie einem ausfallen, und ja, last but least, wenn sie, bei Männlein und Weiblein, grau werden.

Grau sind meine Haare noch nicht. Ich habe noch Glück gehabt für meine 49 Jahre. Interessanterweise finde ich aber graue Haare extrem schön an meinen Freundinnen und Freunden. Diese silberweissen Strähnen.

Als Kind durfte ich die Haare immer so haben wie ich sie wollte. Denn meine Mutter musste lange Zöpfe tragen bis zu ihrem zwölften Lebensjahr. Dann, ritschratsch, fertig mit der Pracht. Dafür ist ein Trauma geblieben, so tief und fest sitzend, sie bevorzugte es, sich mit mir und meinen Frisuren zu schämen, als mich irgendwie zu etwas zu zwingen. Der Friseur fragte meine Mutter immer wieder, ob sie mit meinen Wünschen einverstanden wäre. Sie erwiderte ihm, ich müsse ja mich damit im Spiegel ertragen, nicht sie. Nur eine Dauerwelle wie sie damals, wie alt war ich wohl, 12?, da hat sie ihr Veto eingereicht. Zum Glück sage ich da nur. Ich hätte wohl ausgesehen, als ob ich in die Steckdose gefasst hätte.

Meine Haare, von deren viele, sind sehr fein, Stecken-gerade und kleben an meinem Kopf. Oh wie hätte ich doch immer gerne ein bisschen mehr Bewegung, Volumen, Wellen, Leben, Wilderness und Kontrolle über meine Haare gehabt. Mit 14 Jahren liess ich mir die Haare sehr kurz schneiden wie eine meiner Freundinnen, doch ich sah schrecklich aus. Ein paar Büschel standen nach oben, der Rest klebte irgendwie an meinem Kopf. Im Warenhaus wurde ich sogar zu den Jungs geschickt. Stellen sie sich vor ! Ich armer Tropf.

Somit liess ich sie wieder wachsen und es begann ein Kampf gegen Windmühlen, wie man dem so schön sagt.

Zur Behebung meiner widerspenstigen geraden-am-Kopf-kleb-Haaren habe ich alles ausprobiert, von Shampoos über Festigern, Farben, Gels, Sprays, Bier, Zuckerwasser, Rasierschaum, zu Babylis, Zöpfchen oder Bigoudis über Nacht, … Kasch dängge! Maximal 15 Minuten, dann hing es wieder wie immer. Fragen sie mich nicht wie das kam, aber Anfang 20 gab ich es auf, mit einem kleinen Ausrutscher von Mèches, und dann liess ich meinem Haar seine Freiheit in Farbe und Form. Und wissen sie was? Sie hatten recht, meine Haare. So sind sie am schönsten. Meine Farbe (noch), meine Form und zwar lang. Und ich bin froh, dass ich es früh genug merkte. Wieviele Menschen kannten ihre eigene Haarfarbe nie, weil sie sie bis zum Ergrauen färbten und dann? …waren sie eben schon grau.
Wieviele Männer hatten ihre Haare so kurz, man sah ihre Schönheit und Natur nie, bis sie begannen sie zu verlieren, dann war auch schon zu spoing. Und wieviele Frauen strecken ihre wundervolle Haarpracht, mit der Ausrede, sie würden sonst ganz schlimm in alle Richtungen fliegen, dafür hätten sie Zapfenlocken, oder Grace Kelly Wellen, oder eine Julia Roberts Mähne. Wenn ich diesen Frauen was sage, dann kommt gleich: „Ja du mit deinen schönen geraden Haaren hast gut reden“ …. Hopfen und Malz verloren.

Meine Grossmutter hatte scheinbar schon Anfang 30 graues Haar. Sie färbte ihre Haare dunkelblond, Grossmutterfarbe, im Neonlicht grün und hatte sie mit Dauerwelle kurz. Auweia. Erst im hohen Alter, mit Alzheimer, als mein Grossvater sie nicht mehr zum Coiffeur schicken konnte, liess er ihr die Haare wachsen, wunderschöne, graue, lange Haare, und knotete sie zu einem ‚Bürzi‘. Beim Bürsten und Knoten sagte er zu ihr: „Endlich sehe ich mal deine schönen Haare“. Da kamen mir und kommen mir gleich jetzt noch fast die Tränen.

Zurzeit habe ich mich in die Nesseln gesetzt. Denn ich bin im Begriff, einen Coiffeur zu überzeugen, seine wunderschönen, feinen, rotblonden Haare nicht wie immer militärkurz zu halten, sondern seine « scheene Leggele » wie seine Mutter so ‚scheen’ sagte, zum Vorschein wachsen zu lassen. Ich bin bei seinen Angestellten im Salon schon in Ungnade gefallen und muss ihn täglich bitten, noch ein bisschen durchzuhalten, bis die „nicht Frisur“ zur Frisur wächst. Bei jedem Treffen zittere ich, in der Erwartung, die Coiffeusen hätten ihn und seinen immer wie kleiner werdender Widerstand gegen ihr Scheren-Zücken gebrochen. Aber bis jetzt, Holz aalänge, die Haare wachsen weiter, und werden freier, und schöner…

Denn was gibt es schöneres, als schönes Haar?